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Schätze aus der Chronikgruppe: „Atlantis“ Oberbauerschaft – die Höfe Nr. 22 und 23

Seit 1976 sind die heutigen Grundstücksbezeichnungen mit Straße und Hausnummer eine Selbstverständlichkeit. Davor gab es in den Ortsteilen bzw. früheren Gemeinden nur die Hausnummern, die der Reihenfolge nach vergeben wurden – so bekam ein Neubau die nächste freie Hausnummer, die Nummern waren kreuz und quer im Ort verteilt.

Ein solches Hausnummernsystem wurde im 17. Jahrhundert eingeführt. Mit der Erfassung der seinerzeitigen Höfe im Urbarium des Amtes Reineberg von 1646 wurden diese Nummerierung auch für spätere Steuerlisten herangezogen. Die Höfe bekamen somit fortlaufende Nummern in der Reihenfolge ihrer Steuerkraft. So bekam der Hof Meyer zu Kniendorf damals die Hausnummer 1, der Hof Holzmeier die Nummer 2 usw. Neue Höfe und Häuser, oder wie man sie früher nannte: Stätten, kamen fortlaufend hinzu. Wurde eine Stätte aufgegeben, bliebt diese Nummer zunächst einmal frei.

Durch verstärkte Bautätigkeiten in Oberbauerschaft kam es in den 1960-er Jahren dazu, sogenannte freie Hausnummern nicht mehr vorhandener Stätten wieder zu vergeben, Oberbauerschaft hatte zu diesem Zeitpunkt inzwischen über 400 Hausnummern. So erhielt das in Kirchlengern abgebaute und 1960 auf der Freilichtbühne Kahle Wart wieder aufgebaute neue Heimathaus die Nr. 22, ein verkauftes Heuerlingshaus in der heutigen Straße Hagensiek die Nr. 23. Eine Herausforderung für jeden Heimatforscher, da es sich nicht um alte Stätten des Ortes handelt.

Wer sich mit der Historie eines Ortes beschäftigt, stößt zwangsläufig auch auf die Hausnummern. Während man die früheren Hausnummern im ein- und zweistelligen Bereich mehr oder weniger eindeutig heutigen Standorten zuordnen kann, stößt man bei den Hausnummern 22 und 23 auf ein Rätsel.

Im Urbarium des Amtes Reineberg von 1646 ist ein Hof Nr. 22 mit folgenden Angaben aufgeführt: Henrich Lange zu Obernfelde. 1682 war es Witwe Lange itso Heinrich Lange; 1727, 1732 und 1778 dann Heinrich Lange. Beim Hof Nr. 23 war es 1646: Cathrinen Hoff zu Obernfelde, später dann 1682 Jürgen zum Obernfelde, 1717 Caspar Hermann zum Obernfelde und 1732 dann wieder ein Jürgen zum Obernfelde. 1778 taucht die Nr. 23 dann nicht mehr auf.

Wo aber lagen die beiden früheren Oberbauerschafter Höfe Nr. 22 und 23 ? Waren sie – wie Atlantis (ein Begriff für ungelöste Rätsel der Geschichte oder versunkene Städte) – untergegangen, welches Schicksal hat sie und ihre Bewohner ereilt ?

Einen ersten Hinweis gibt es in der Oberbauerschafter Schulchronik (um 1880):

„Bleiben noch zwei Höfe zu erwähnen, die – ein Kuriosum – auf der Nordseite der Berge in der Nähe von Gut Obernfelde lagen und die Hausnummern 22 und 23 von Oberbauerschaft trugen. Sie sind im Zuge der Lübbecker Verkopplung verschwunden; aber alte Leute wissen noch zu erzählen, wo diese beiden Höfe lagen, die nicht dem Stift Quernheim eigenbehörig waren. So gehörte der Hof Nr. 23 nach Gut Renkhausen (damals von Klenke); der Besitzer von Hof Nr. 22 war ein „leibfreier Kötter“. Er war also keinem Grundherrn eigenbehörig, war aber zu Lieferungen an das Gut Große-Eickel und an die Blasheimer Kirche verpflichtet. Heute noch muss die Stadt Lübbecke an die Gemeinde Oberbauerschaft für diese beiden verschwundenen Höfe (für eingemeindete Enklaven) Steuern zahlen. Ein Austausch mit den Lübbecker Grundstücken am Südfuß des Gebirges westlich von Horsts Höhe ist bisher nicht möglich gewesen.“

Anfang des 18. Jahrhunderts wird zu Livenstede (Obernfelde bei Lübbecke) berichtet: Es ist anzunehmen, dass einige Höfe wüst geworden oder von den Grundherren auf Obernfelde eingezogen worden sind. Mehrere Livensteder Höfe haben sich aber bis in die Neuzeit erhalten. 1646 werden im Urbar des Amtes Reineberg unter den Stätten der Bauerschaft Oberbauerschaft zwei Höfe aufgeführt, die im Gebiet von Obernfelde lagen: Henrich Lange zu Obernfelde (Viertelmeierhof, leibfrei, der Hof lag in nordöstlicher Richtung unmittelbar neben den Gutsgebäuden von Obernfelde), und „Catrinen Hof“ zu Obernfelde (Viertelmeierhof, eigenbehörig an Junker Klencke zu Lübbecke).

Die historische Bindung von Oberbauerschaft zur Lübbecker Kirche beidseits des Wiehengebirges ist an vielen Stellen historisch belegt. So schreibt ein Kirchenvisitationsprotokoll: Außerhalb der Stadt Lübbecke und ihrer Feldmark gehörten um 1650 Oberbauerschaft (Niedringhausen, Oberhöfen, Beendorf, Allingdorf), der Burgbezirk mit der Domäne Reineberg, die Bauerschaft Büttendorf und der Gutsbezirk Obernfelde (ehemals Livenstede) zum Kirchspiel St. Andreas Lübbecke.

 Hinzu kommt ein in früheren Zeiten allgemein bestehendes Weiderecht (Gemeinschaftliche Bewirtschaftung und Nutzung der sog. Lübbecker Mark). Dieses Weiderecht im Lübbecker Berg – zwischen Oberbauerschaft und „Vierlinden“ im Bereich Obernfelde im Bereich des Wurzelbrinks – bestand formal bis zum frühen 20. Jahrhundert. So haben Lübbecke und Oberbauerschaft in den vergangenen Jahrhunderten in unterschiedlicher Art und Weise enge Beziehungen gehabt, die insbesondere auch durch die Kirchenzugehörigkeit deutlich wurde. Umgangssprachlich erinnert noch heute der Alte und Neue Kirchweg an diese Verbundenheit.

Weitere Hinweise und Hintergründe zu den beiden Höfen auf der Nordseite des Wiehengebirges, deren Ländereien zum Gut Obernfelde gekommen sind, konnten bislang noch nicht ausreichend in Erfahrung gebracht werden. Durch die Zuständigkeiten in früheren Bereichen (Obernfelde gehörte zu Blasheim und somit früher zum Amt Preußisch Oldendorf, während die beiden benachbarten Höfe Oberbauerschaft Nr. 22 und 23 auf Lübbecker Gebiet lagen) konnten auch mit den kommunalen Archiven, Heimatstube und Kirchenbüchern bislang keine weitergehenden Informationen zusammengetragen werden. Das Staatsarchiv Münster hält noch einige Akten aus dem Besitz des Gutes Obernfelde bereit: „Verwaltung des Vermögens der Caroline Lange zu Obernfelde aus der Abfindung von Verkauf des Kolonats Lange Nr. 22 zu Oberbauerschaft an den Freiherrn v.d. Recke zu Obernfelde“ sowie „Geplante Zuschlagung des Gutes Obernfelde und der Kolonate Nr. 22 und 23 zu Oberbauerschaft zum v.d. Reckeschen Familienfideikommiß“.

Die Chronikgruppe bleibt weiter am Ball und wird das Thema anhand weiterer Unterlagen und vielleicht bislang noch nicht bekannten Quellen weiter aufarbeiten. Für weitere Hinweise und Überlieferungen wären wir dankbar.

So könnte sich das Thema „Atlantis Oberbauerschaft oder die verschwundenen Höfe Nr. 22 und 23“ vielleicht auch in die Sagen und Mythen versunkener Stätten einreihen.

Eure Chronikgruppe

Christine Honermeyer und Dirk Oermann

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