Schätze aus der Chronikgruppe: „Ohne Zollstock und Metermaß; Bräuche beim Bau eines westfälischen Fachwerkhauses sowie ein 400 Jahre alter Torbogen“
Das Fachwerkhaus galt und gilt auch heute noch in der Region als Wahrzeichen westfälischer Ländlichkeit. Auch in Oberbauerschaft finden sich noch einige liebevoll gepflegte und restaurierte Zeugen der Vergangenheit.
In der inzwischen über 100 Jahre alten Oberbauerschafter Schulchronik gibt es zum Bau und den damit verbundenen Bräuchen viele Aufzeichnungen.
Erwähnt wird dabei auch das seinerzeit älteste Fachwerkhaus auf dem Hof Holzmeier (Kahle-Wart-Straße / früher Nr. 2) – Foto – mit einem Torbogen aus dem Jahre 1620 – vor nunmehr 400 Jahren. Leider ist dieses Gebäude in der Silvesternacht 1977/78 abgebrannt; der Torbogen mit der Inschrift „H. Holtzmeier hat mich gebuwet Anno 1620 M.D.W.“ konnte jedoch gerettet werden.
Am Rande: Es mag für manchen Oberbauerschafter spekulativ sein, ob der weiter oberhalb der Hofanlage gelegene „Mittelpunkt der Welt (MDW)“ von dieser Torbogeninschrift „M.D.W.“ herrührt, oder diese Bezeichnung durch die kreative Nachbarschaft der Kahle-Wart-Straße/Ginsterweg entstanden ist …
Zurück zur Schulchronik: Wenn früher ein Einwohner ein Bauernhaus, einen Kotten oder auch nur eine Scheune bauen wollte, so war das ganze Dorf „behülflich“. Somit war regelmäßig eine große Menge an Eichenholz erforderlich. Die Bäume wurden im Winter gefällt. Die Stämme wurden dann am eigentlichen Bauort aufbereitet; die Zimmerleute waren die Hauptbauleute und arbeiteten in der gesamten Sommerzeit. Die Arbeiten erfolgten in Tagelohn; die Bauleute wurden auch entsprechend vom Bauherrn beköstigt. Nach alter Sitte waren jedoch alle Bewohner des Dorfes verpflichtet, Eier, Würste, Bohnen und Milch zum Bauherrn zu „bringen“. Der Bauherr musste die Arbeiten aufeinander abstimmen: die Kuhbauern waren zum Sandfahren verpflichtet, die größeren Bauern (Kolone) zum Steinefahren. Alle „Bringer“ und „Partiefahrer“ wurden auch beköstigt.
Eigentlicher Baumeister war der Zimmermeister, eine Bauzeichnung kannte man nicht. Es wurde lediglich Länge und Breite vorgegeben, die räumliche Aufteilung erfolgte nach der Richtung des Hauses. Der Chronist schreibt: „Metermaß oder Zollstock“ scheint man früher wenig gebraucht zu haben; oftmals soll lediglich mit einem Strohhalm Maß genommen worden sein. Der Giebel wurde zunächst auf dem Boden errichtet und anschließend mit der Tatkraft aller Helfer aufgerichtet.
Vor dem Richtfest wurde im Gottesdienst Fürbitte gehalten; am Abend vorher wurde „abgetrommelt“. Dies erfolgte durch taktmäßiges Schlagen auf einen kräftigen Pfosten, auch wurde mit einer Holzkette gerasselt. Der erste Nachbar lud zur Hausrichtung ein und ging dabei von Haus zu Haus; alle Geladenen brachten etwas zu Essen mit. Die Verwandten wurden ebenfalls eingeladen – weniger zum Helfen, sondern um das neue Haus zu bewundern.
Die Mädchen aus der Nachbarschaft brachten die mit bunten Schleifen und Blumen versehene Richtkrone zum Richtfest. Sobald das letzte Paar Sparren auf dem Hause gerichtet war, brachte die Großmagd die Krone zum „Hahnenholz“, der obersten Spitze des Hauses, und übergab sie feierlich dem Zimmermeister, der sie am Giebel annagelte. Der Zimmermeister hielt eine in Reimen abgefasste Ansprache, dabei wurde zwischendurch auch wieder mit Holzketten gerasselt – um böse Geister zu vertreiben. Bevor am Tag darauf die Maurer und Handwerker den Bau fortsetzten, gab es abends die Richtmahlzeit mit ihren drei Gängen: Suppe, Fitzebohnen, dicker Reis – dazu Bier und Schnaps.
Wie manche Bräuche doch bis in die heutige Zeit erhalten geblieben sind …
Eure Chronikgruppe: Christine Honermeyer und Dirk Oermann